EREWAN taz | „Frauen sind die besten
Scharfschützen. Ich werde das noch beweisen“, sagt die 26-jährige armenische
Studentin Tatevik Galojan und robbt auf dem Boden weiter nach vorne. Die junge
Architektin lernt, wie man schießt, Granaten wirft und sich dabei selbst vor
Angriffen schützt. Sie ist eine von etwa 170 Freiwilligen im Alter von 18 bis
30 Jahren, die seit mehr als einer Woche an militärischen Vorbereitungskursen
in der armenischen Hauptstadt Eriwan teilnehmen.
Die
Mehrheit dieser Freiwilligen sind Frauen – es ist ein Experiment für das kleine
Land, in dem nur knapp drei Millionen Menschen leben. „Auch die Frauen müssen
dienen“, sagt Vova Vardanov, der die Ausbildung der Freiwilligen leitet und die
Frauen täglich trainiert. Ein Grund dafür sei die sehr negative
Bevölkerungsentwicklung Armeniens.
Die armenische Studentin beim Militärtraining in Jerewan |
Vardanov,
ein 50-jähriger Veteran des Berg-Karabach-Kriegs, schlägt vor, ähnliche Modelle
wie in der Schweiz und Israel auch in Armenien einzuführen. Dann wären Männer
und Frauen zum Militärdienst verpflichtet. Doch im Verteidigungsministerium
will bislang niemand etwas davon hören. Der zweijährige Wehrdienst ist derzeit
nur für Männer Pflicht.
„Wir
müssen uns eingestehen, dass Aserbaidschan über eine wesentlich modernere
Militärtechnik verfügt als Armenien. Wir haben nur das, was von der verrotteten
Sowjetarmee übrig geblieben ist“, sagt Vardanov. Reformen seien dringend
notwendig.
Immer wieder Schusswechsel
In
Berg-Karabach selbst ist die Lage auch nach dem Waffenstillstand vom Dienstag
letzter Woche weiter angespannt. Immer wieder kommt es zu Schießereien. Der
Politikwissenschaftler Hrant Melik-Schahnasarjan ist pessimistisch. Er fürchtet
einen neuen Ausbruch von Feindseligkeiten, die sogar noch heftiger sein
könnten. „Es gibt keinen internationalen Druck auf Präsident Ilham Alijew. Das
hat er verstanden und wird weiter versuchen, seine Machtposition in
Aserbaidschan durch eine Eskalation zu stärken“, sagt Melik-Schahnasarjan.
Weil
der Preise für Öl sinkt, das wichtigste Exportgut Aserbaidschans, herrscht in
dem Land eine Wirtschaftskrise. Krieg in Berg-Karabach sei Alijews einziges
Mittel, um das Entstehen einer Protestbewegung im eigenen Land zu verhindern,
meint Melik-Schahnasarjan. Außerdem könne Alijew so seine korrupten Geschäfte
weiter betreiben.
Für
den Politikwissenschaftler ist es nicht ausgeschlossen, dass Baku seinen
Angriffsplan mit Moskau koordiniert hat. Er ist deshalb enttäuscht von
Russland, das eigentlich ein Partner Armeniens ist. Das Land ist Mitglied in
der von Russland dominierten Organisation des Vertrags über kollektive
Sicherheit (OVKH).
Die
einzige russische Militärbasis im Südkaukasus befindet sich im armenischen
Gjumri, wo etwa 5.000 Soldaten stationiert sind. Zwischen beiden Ländern
bestehen bilaterale Verteidigungsverträge. Armenien ist zudem Mitglied in der
von Wladimir Putin gegründeten Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU).
Russische Waffen für
Aserbaidschan
Russlands
Vizeministerpräsident Dmitri Rogosin, der für die Militärindustrie Russlands
zuständig ist, erklärte unlängst in Baku, Russland werde auch weiterhin Waffen
an Aserbaidschan liefern. In Armenien wird das stark kritisiert. Russland wolle
seinen Einfluss in Aserbaidschan wiederherstellen und tue das auf Kosten
Armeniens, sagt Melik-Schahnasarjan. Er spricht davon, dass sich Armenien aus
der EAWU zurückzuziehen könnte.
„Auf
der Tagesordnung stehen nun militärische Aktivitäten. Und Armenien sollte seine
Beziehungen zu Russland überprüfen“, sagt Tevan Poghosjan. Der oppositionelle
Abgeordnete im Parlament von Eriwan, der aus Berg-Karabach stammt, ist sicher:
Russland riskiert seine Partnerschaft mit Armenien, hat aber keine Chance,
Aserbaidschan als Partner wiederzugewinnen.
In
der Geschichte des Berg-Karabach-Konflikts war stets die Türkei der wichtigste
Verbündete Aserbaidschans. Die Ideologie (eine Nation – zwei Staaten) hat in
den beiden turksprachigen Ländern, Aserbaidschan und der Türkei, immer noch
eine große Bedeutung.
Die
Regierung von Berg-Karabach appelliert unterdessen an die Armenier in aller
Welt. In fünf Tagen haben sie 3,5 Millionen Euro überwiesen, damit die Armee
von Berg-Karabach moderne Waffen kaufen kann. Auch Tevan Poghosjan setzt auf
die weitere Aufrüstung Berg-Karabachs. Er hofft auf Geld aus dem Mutterland
Armenien und der weltweiten Diaspora. „Wenn du Frieden willst, rüste zum
Krieg“, sagt er.
„Wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg“ Tevan
Poghosjan, Abgeordneter Tevan Poghosjan, Abgeordneter
„Wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg“.
Informationsquelle:http://m.taz.de/Konflikt-um-Berg-Karabach/!5292596;m/
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